Mikroglia-Zellen sind Fresszellen, die das Gehirn von schädlichen und absterbenden Bestandteilen befreien. Funktioniert diese „Müllabfuhr“ nicht mehr, zum Beispiel mit zunehmendem Alter, werden Nervenzellen geschädigt. Als Folge ist das Gehirn in seiner Funktion beeinträchtigt und neurodegenerative Krankheiten, bis hin zur Demenz, können entstehen. Ein österreichisch-amerikanisches Forschungsteam, an dem mit Heimo Wolinski auch ein Wissenschafter der Universität Graz beteiligt ist, hat jetzt eine besondere Entdeckung gemacht: die ForscherInnen fanden eine spezielle Art von Mikroglia, die ihre Fressfunktion nicht mehr ausüben konnte, weil sie mit Fetttröpfchen gefüllt war. Die Ergebnisse der Studien wurden gestern in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Nature Neuroscience veröffentlicht.
Die WissenschafterInnen beschreiben in ihrer Publikation die Entdeckung der speziellen Fresszellen im Hippokampus, also jener Region des Gehirns, die für das Lernen und das Gedächtnis essentiell ist. Angefüllt mit Fetttröpfchen konnten diese Fresszellen dort nicht nur ihre Funktion nicht mehr ausüben, sie erwiesen sich zudem als förderlich für Entzündungen und dadurch als besonders schädlich für das Gehirn. „Interessanterweise sind es dieselben Gene, die einerseits die Fetttröpfchen entstehen lassen und andererseits auch zu bestimmten Formen von Demenzen führen. Insofern haben wir es hier mit einem essenziellen Mechanismus zu tun, aus dem sich zukünftige Therapieansätze für Demenzerkrankungen entwickeln lassen“, schildert Julia Marschallinger vom Institut für Molekulare Regenerative Medizin der Paracelsus Medizinische Universität (PMU) Salzburg, die diese Studie gemeinsam mit Tony Wyss-Coray von der Stanford Universität leitete. Dem Team um Julia Marschallinger gehörten neben Heimo Wolinski von der Universität Graz auch Ludwig Aigner, Leiter des Instituts für Molekulare Regenerative Medizin der PMU Salzburg, sowie Julia Tevini und Thomas Felder vom Uniklinikum Salzburg an.
Um die Fetttröpfchen in den Fresszellen überhaupt erst sehen zu können, setzten die ForscherInnen unter anderem ein spezielles optisches Verfahren ein. Heimo Wolinski erklärt: „Subzelluläre Strukturen müssen typischerweise markiert werden, zum Beispiel mit Fluoreszenzfarbstoffen, um sie hochaufgelöst mittels optischer Bildgebung sichtbar zu machen. In komplexen Geweben kann es aber schwierig sein, die gefärbten Ziel-Strukturen zweifelsfrei zu identifizieren. Die „Coherent anti-Stokes Raman scattering (CARS)“-Mikroskopie erlaubt hingegen die Anregung und Detektion individueller, in Fett vorkommenden CH2 Bindungsschwingungen in den Zielkomponenten, ohne die Präparate markieren zu müssen." Auf diese Art und Weise konnten Fetttröpfchen in Mikroglia spezifisch detektiert werden.
Die Beteiligung an diesem großen Projekt zeigt die internationale Bedeutung des am Institut für Molekulare Biowissenschaften der Universität Graz etablierten Forschungsbereichs der optischen Bildgebung.
Publikation:
Marschallinger et.al. (2020) "Lipid droplet accumulating microglia represent a dysfunctional and pro-inflammatory state in the aging brain", Nature Neuroscience. doi: https://doi.org/10.1101/722827