Cholera, Mittelohrentzündung, COPD (Chronisch Obstruktive Lungenerkrankung) oder Rindergrippe: Ein unglaublich breites Band an Erkrankungen könnte in Zukunft durch eine beinahe revolutionäre Impfmethode in den Griff bekommen werden, die zwei Grazer Forschungsgruppen am Institut für Molekulare Biowissenschaften an der Universität Graz vorantreiben: eine Impfung, die ohne Nadel auskommt und extrem wirksam ist. Diese wurde bei der größten Fachmesse für Innovationen in den Life Sciences unter 40 Einsendungen mit dem zweiten Platz ausgezeichnet.
Worum geht es? Üblicherweise werden Impfseren hergestellt, indem man beispielsweise Krankheitsbakterien abtötet und sie dann zum Serum verarbeitet. Das wird dem Probanden verabreicht, und das Immunsystem entwickelt dann Antikörper gegen die Bakterien. Denn das Immunsystem erkennt die "Haut" der abgetöteten Zellen (die Membran) als körperfremd. Wird der geimpfte Mensch später infiziert, ist das Immunsystem bereits darauf vorbereitet.
"Der Nachteil dabei ist, dass man eine sehr aufwendige Qualitätskontrolle benötigt, damit in das Serum keine lebendigen Bakterien gelangen", sagt Professor Stefan Schild. Mit Erhitzen oder mit chemischen Mitteln muss das verhindert werden. Das aber verändert die Oberflächen (die Membran) der Bakterien und deshalb ist diese Methode nur bedingt wirksam.
Trick mit Membranfetzchen
In den USA entwickelte Schild gemeinsam mit Kollegen eine bahnbrechend neue Methode zum Thema Cholera und brachte diese nach Graz mit: Lebende Bakterien sondern Teile ihrer Membran ab, "sozusagen wie Schuppen", erklärt sein Grazer Kollege Joachim Reidl, der die zweite Arbeitsgruppe leitet. Diese "Schuppen" oder Außenmembranvesikel können mit neu entwickelten, raffinierten Zentrifugiertechniken herausgefiltert werden. Die Membranfetzchen sind nicht lebensfähig und daher ungefährlich, aber ihre Oberfläche ist intakt und vor allem unverändert. Und daher kann sie das Immunsystem viel besser erkennen. Der Impfstoff, den man daraus entwickeln kann, ist deshalb wesentlich wirksamer. Und das bedeutet: Er muss nicht mehr gespritzt werden, sondern kann oral oder intranasal eingenommen werden.
Die Methode, die ursprünglich nur für Cholera entwickelt wurde, erweist sich für eine ganze Klasse von Bakterien als geeignet. Unter anderem für Krankheitserreger des Darmtraktes und der Lunge. Und zwar nicht nur vom Menschen, sondern auch bei Tieren, wie etwa die Rindergrippe.
Cholera, die vor allem in der Dritten Welt ein Thema ist, kommt bei uns nicht vor. Anders sieht es hingegen mit COPD aus. "Die Weltgesundheitsorganisation prognostiziert, dass COPD zur dritthäufigsten Todesursache aufsteigen wird", sagt Reidl.
Fünf bis zehn Jahre dürfte es dauern, bis aus den Labor- und ersten Tierversuchen ein Medikament entsteht, sagt Schild. Die Uni Graz hat bereits ein Patent angemeldet, mit Pharmafirmen ist man im Gespräch.
Die Zukunftsvision der Grazer Forscher ist jedenfalls verlockend: Man könnte die Bevölkerung präventiv immunisieren, und es wäre kein Schmerz dabei. Denn die Mittel würde man wie die Polio-Impfung schlucken oder inhalieren. Schild: "Auch die Mittelohrentzündung bei Kleinkindern fällt in diese Kategorie."